Studienkonzept

Die Studie AIEOP-BFM ALL 2017 ist eine prospektive, multizentrische Therapiestudie zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen im Alter von unter 18 Jahren mit akuter lymphoblastischer Leukämie (ALL). Für die Durchführung der Studie kooperieren Studiengruppen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, der Tschechischen Republik, Israel, Australien und der Slowakei mit dem Ziel, das Therapiekonzept für diese Patienten weiter zu optimieren. Des Weiteren stellt die Studie eine Plattform für Begleitforschungsprojekte dar.

Hintergrund der Studie

Die ALL ist die häufigste maligne Erkrankung des Kindesalters. Die systematische Prüfung von Behandlungskonzepten für diese Erkrankung im Rahmen multizentrischer Therapieoptimierungsstudien hat über die letzten Jahrzehnte nicht nur zu einer eindrucksvollen Verbesserung der Prognose dieser Erkrankung geführt, sondern auch bereits eine stufenweise Entschärfung bestimmter Therapiemodalitäten eingeleitet:
Mittlerweile können ereignisfreie Überlebenswahrscheinlichkeiten von ca. 90% erreicht werden. Die Therapiestudien haben zugleich dank der sorgfältigen und umfassenden Diagnostik und begleitenden Forschung die Heterogenität der ALL hinsichtlich Biologie und klinischem Ansprechen demonstriert. Daraus leitete sich die Identifizierung von Prognosefaktoren ab, die für die Weiterentwicklung einer individuell risikoadaptierten Therapie unverzichtbar geworden sind.

Basis der Risiskostratifizierung:

Aufbauend auf den Analysen der kooperativen Vorgängerstudie AIEOP-BFM ALL 2009 (Italien, Deutschland, Österreich, Schweiz, Tschechische Republik, Israel, Australien) werden die Patienten anhand von Immunphänotyp, molekularen/chromosomalen Aberrationen und dem Ansprechen auf die Chemotherapie in verschiedene Risikogruppen stratifiziert.
Das Ansprechen auf die Therapie wird sowohl zytomorphologisch (im peripheren Blut am Tag 8 der Steroid-Vorphase („Prednison-Response“, nur für T-ALL) und im Knochenmark am Tag 33 am Ende der Induktion) als auch über zwei verschiedene Methoden zur Analyse von minimaler Resterkrankung (minimal residual disease, MRD) bestimmt. Die durchflußzytometrische Bestimmung von MRD (FCM-MRD) kommt früh in der Induktionsbehandlung (Tag 15) zum Einsatz.
Die Ergebnisse werden für die Stratifizierung in die Hochrisiko(HR)-Gruppe herangezogen. Die weitere Stratifizierung erfolgt auf der Basis des molekulargenetischen Nachweises von MRD über die Quantifizierung leukämiespezifischer T-Zellrezeptor- und Ig-Genrearrangements (PCR-MRD) am Ende der Induktion (Tag 33) und zur Woche 12.

Erläuterungen zum Therapiekonzept

Das Behandlungskonzept besteht in einer intensiven Polychemotherapie. Die Patienten werden risikoadaptiert in Behandlungsarmen unterschiedlicher Therapieintensität behandelt. Alle Patienten erhalten eine Induktionstherapie mit anschließender Konsolidierung, beide Therapiephasen variieren in Abhängigkeit von der klinischen/biologischen Subgruppe. Die Postkonsolidierungstherapie besteht bei Patienten, die nicht der Hochrisikogruppe angehören in einer weiteren auf das Extrakompartment gerichteten Konsolidierungsphase (Hochdosis-Methotrexat) gefolgt von einer Reinduktionsphase und anschließender Erhaltungschemotherapie. Patienten der Hochrisikogruppe erhalten stattdessen eine intensivierte Konsolidierung bestehend aus drei kurzen, aber hochintensiven Chemotherapieblöcken (HR-Blöcke), die ebenfalls auf das Extrakompartment gerichtete Medikamente (Hochdosis-Methotrexat, Hochdosis-Cytarabin) beinhalten, gefolgt von drei Reinduktionstherapiephasen mit anschließender Erhaltungstherapie. Für ca. 5 % der Patienten mit besonders hohem Rezidivrisiko wird im Rahmen des Behandlungsprotokolls die Indikation für eine allogene hämatopoietische Stammzelltransplantation (alloHSZT) ausgesprochen, die Durchführung dieser Maßnahme ist jedoch nicht Bestandteil der Studie AIEOP-BFM ALL 2017, sondern erfolgt bevorzugt im Rahmen einer anderen dafür konzipierten Therapiestudie (z.B. ALL SCTped 2012 FORUM). Die alloHSZT wird zeitlich in der Regel nach dem dritten HR-Block eingeplant. Patienten, die zu diesem Zeitpunkt noch eine hohe MRD-Last haben, erhalten vor alloHSZT einen weiteren intensiven Therapieblock (DNX-FLA: Daunoxome, Fludarabin, Hochdosis-Cytarabin), um die MRD-Last vor alloHSZT im besten Falle weiterhin zu senken. Für eine kleine Subgruppe beinhaltet das Therapiekonzept außerdem eine Schädelbestrahlung.

Die oben skizzierte Therapie der nicht randomisierten Behandlungsteile sowie in den Kontrollarmen der Randomisierungen basieren auf den Ergebnissen der vorangegangen Studien AIEOP-BFM ALL 2000 und AIEOP-BFM ALL 2009. Diese Behandlung entspricht dem Therapiestandard zur Behandlung von pädiatrischen Patienten mit ALL und wäre so oder in ähnlicher Form auch die Therapie erster Wahl für Patienten, die nicht an der Studie teilnehmen.

Aufgesattelt auf den Chemotherapie-Backbone sind die folgenden randomisierten Therapiefragen:

  1. Die Randomisierung R-eHR ist für Patienten mit Vorläufer-B-ALL der early-HR-Gruppe (siehe oben) vorgesehen und findet in der Konsolidierungsphase statt. Im Kontrollarm erhalten die Patienten in dieser Therapiephase eine Standard-Chemotherapie, die im Prüfarm mit dem Proteasom-Inhibitor Bortezomib kombiniert wird. Bortezomib wird gemeinsam mit Dexamethason, Vincristin und PEG-Asparaginase verabreicht, eine Kombination, für die synergistische Effekte postuliert werden und die in sehr ähnlicher Form bereits in anderen Studien angewandt wurde.
  2. Für die Randomisierung R-HR qualifizieren sich Patienten mit Vorläufer-B-ALL, die nach Konsolidierung der Risikogruppe HR zugeteilt wurden (siehe oben). Die Randomisierung findet während der Intensivierungsphase des Hochrisiko-Therapiezweiges statt. In dieser Phase erhalten die Patienten drei intensive hochdosierte Chemotherapieblöcke („HR-Blöcke“). Im R-HR-Prüfarm werden den Patienten anstelle des zweiten und dritten HR-Blocks zwei jeweils 4-wöchige Zyklen mit Blinatumomab mit zusätzlichen intrathekalen Methotrexat-Gaben verabreicht.
  3. In der Randomisierung R-MR für Patienten mit Vorläufer-B-ALL der Risikogruppe MR (siehe oben) erhalten die Patienten des Prüfarmes nach Abschluss der intensiven Phase der Chemotherapie (nach Reinduktion) einen Zyklus Blinatumomab bevor die Therapie dann mit der Erhaltungstherapie fortgesetzt wird. Die Patienten des Kontrollarmes beginnen direkt mit der Erhaltungstherapie.
  4. Die Randomisierung R-T wird für Patienten mit T-ALL durchgeführt, die am Ende der Induktionstherapie noch nachweisbare MRD-Last und/oder in der frühen Phase der Induktionstherapie nur langsam angesprochen haben. Die Randomisierung findet in der Konsolidierungsphase statt. Patienten des Kontrollarmes erhalten die vierwöchige standard-of-care Konsolidierungstherapie „Protocol IB“, die die Medikamente Cyclophosphamid, 6 Mercaptopurin, Cytarabin sowie intrathekales MTX beinhaltet. Im Prüfarm erhalten die Patienten eine um zwei Wochen verlängerte Konsolidierungsphase („Protocol IB-long“) mit einer um die Hälfte höheren Kumulativdosis derselben Medikamente.

Patienten der Hochrisikogruppe, die nach Abschluss der intensivierten Konsolidierung einschließlich DNX-FLA noch immer eine hohe MRD-Last haben („molecular non-response“), qualifizieren sich für experimentelle Therapie („Experimental Group“), z.B. im Rahmen von anderen Studien oder als individuelle Heilversuche. Für diese Patienten ist die Erstlinientherapie zwar noch nicht beendet, sie scheiden aber mit einem „Event“ aus dem interventionellen Teil der Studie aus und werden im Rahmen der Studie weiter beobachtet. Einen weiteren Sonderfall stellen Patienten mit einer TCF3-HLF-positiven ALL dar. Diese Patienten haben mit konventioneller Chemotherapie mit oder ohne alloHSZT bekanntermaßen bisher eine fatale Prognose. Solange für diese Patienten kein anderes sinnvolles Behandlungskonzept zur Verfügung steht, werden sie bei Aufnahme und Behandlung in der Studie AIEOP-BFM ALL 2017 nicht in die Randomisierungen R-eHR und R HR eingeschlossen, sondern erhalten im HR-Zweig unrandomisiert die Therapie der jeweiligen Prüfarme (Bortezomib in der Konsolidierung, Blinatumomab in der Intensivierung).